Wollen wir Joe co*cker einen Rockstar nennen? War er, der Engländer, der sich beim Woodstock-Festival an einem fremden Lied und seinem eigenen Gesang abarbeitete, er, der Stahlkocherjunge aus Sheffield, gelernter Installateur, der dann auch diese klebrigen Radioschmiercharts bediente, war er irgendetwas mit Rock im Namen? Sagen wir so: Ja, Joe co*cker war ein Rockstar, einer von den besseren sogar, auch wenn er selbst sich und seine musikalische Herkunft früh vergessen zu haben schien. Aber das war nicht einmal seineSchuld.
Joe co*cker hat ein Leben und eine Karriere bestritten, die Achterbahnfahrten glichen. Höhen und Tiefen waren nicht Erhebungen und Dellen, sondern Komplett-Desaster, sowohl wenn es bergauf, wie wenn es bergab ging. Die Psychologie würde so etwas manisch-depressiv nennen. Der Mann war vorzugsweise völlig am Boden, um sich dann wieder aufzurappeln. Und obwohl man ihn zeitweise als hoffnungslosen Fall dem Vergessen anheim gab, war er doch immer wieder überraschend da. Gab, wie er selbst einmal sagte von sich und seiner Musik: "akustischeLebenszeichen".
Geld interessierte co*cker nie
Joe - eigentlich John Robert - co*cker wurde am 20. Mai 1944 geboren. Da war noch Krieg. Als Teenager schwärmte er für schwarze Musik, insbesondere für Ray Charles. Als er 1963 anfing, selber als Musiker aufzutreten, spielte er die Beatles nach: eine erste Single mit deren "I'll Cry Instead" brachte 1964 aber keinen Durchbruch. co*cker lernte den Organisten Chris Stainton kennen. Man nannte sich die Grease Band, nahm eine Single, "Marjorine", auf und erklomm die britischen Charts. Die zweite Single, wieder ein Beatles-Cover, machte co*cker dann gleich weltberühmt: "With A Little Help From My Friends" landete auf Platz eins der Hitlisten. co*cker tourte, ging nach Woodstock und eroberte die Herzen der Amerikaner, nicht zuletzt durch seine expressiv verkrampfteKörpersprache.
co*cker fiel dann aber sofort auf die Nase: Geld interessierte ihn nie, seine Grease Band auch nicht mehr. Er tourte fortan mit Leon Russell und einer großen Sessionband durch die USA, nannte sich: Mad Dogs & Englishman, wurde unfassbar erfolgreich mit Film und Live-Doppelalbum der Tour, allein co*cker war komplett vom Erfolg überrollt und überfordert. Physisch, psychisch und finanziell war er nach der Tour am Ende - und ging nach Hause ins heimatlicheSheffield.
Reaktionen auf Joe co*ckers Tod
:"Danke, dass Du deine Seele geteilt hast"
Reaktionen auf Joe co*ckers Tod
Die Musikwelt reagiert bestürzt auf den Tod des britischen Sängers Joe co*cker. Stars wie Bette Midler, Ringo Starr und Lenny Kravitz nehmen öffentlich Abschied von "einem der besten Rocksänger aller Zeiten".
Sein Status als Rock'n'Roll- Superstar beschränkt sich auf Kontinentaleuropa
1972 versuchte er es noch einmal, aber das wurde nix. co*cker ging 1976 nach Kingston, Jamaika, nahm dort die akzeptable LP "Stingray" auf. Erfolgreich verkauft hat sie sich indes auch nicht. Was macht co*cker? Er macht: Disco-Funk. 1978 erscheint das Album "Luxury You Can Afford", kommerziell ein Flop. Was macht co*cker? Eine "Woodstock Revival-Tour". 1979 klampft er sich mit Arlo Guthrie, Richie Havens und Country Joe McDonald in ein musikalisches und kommerzielles Fiasko mit lauter Konzertabbrüchen. Was macht co*cker? Ertrinkt.
1982 hat er dann mal Glück. Er spielt im Duett mit Jennifer Warnes den größten Single-Erfolg seit "With A Little Help From My Friends" ein: die Kitsch-Schnulze "Up Where We Belong". Sie taucht im Film "Ein Offizier und Gentleman" auf und beschert ihm Platz eins der US-Charts. Außerdem bekommt er den Oscar und einen Grammy für den besten Filmsong desJahres.
1987 erschien "Unchain My Heart", genauso klebrig, aber es platzierte sich in der deutschen Hitparade mehrere Wochen lang auf Platz eins. Dann wieder ein Glücksfall für Joe: der Fall der Berliner Mauer. Drei Tage nach der Maueröffnung tritt co*cker bei einem spontan organisierten Festival auf, dem "Konzert für Berlin". Hier bringt er noch mal "With A Little Help From My Friends" zu Gehör und rührt damit die wiedervereinigtenDeutschen.
Immer klarer wird dann aber auch: co*ckers Status als Rock'n'Roll-Superstar beschränkt sich auf Kontinentaleuropa, auf Deutschland, Italien und Skandinavien. Hier erhält er Platin, etwa 1992 für "Night Calls" und ein "Best Of"-Album. Im Frühsommer 1996 ließ sich co*cker vom deutschen EMI-Boss Helmut Fest überreden, eines seiner " akustischen Lebenszeichen" für Europa und speziell Deutschland zu senden: "Ich denke", sagte co*cker damals, "er hatte das Weihnachtsgeschäft im Hinterkopf!" Eine schnell gebastelte Platte kam im Oktober 1996 auf dem europäischen Kontinent unter dem Titel "Organic" auf den Markt. "Allerdings sollte man sie nicht als neue Joe-co*cker-Scheibe ansehen, eher als eine Art Statement, wie alte Songs von mir heute klingen", meinte der Meisterdazu.
Dieser Trend hält leider an: co*cker wird gezielt eingesetzt von seinen Produzenten. Deutlicher als bei "Across From Midnight" aus dem Jahr 1997 ist dies selten geworden. Eine ganze Reihe von Songs wird hier nur für ihn komponiert, darunter "That's All I Need To Know" von Eros Ramazzotti. Die LP ist völlig auf Chart-Erfolg hin konzipiert. co*cker äußert sich 1997 dazu dezidiert im Spiegel: dass er "Produzenten und Managern ausgeliefert" sei, obwohl er bei der Endauswahl der Stücke noch mitreden dürfe, "aber auch ich muss Kompromisse machen. Ich kann nicht am Zeitgeist vorbeisingen. Wenn die Menschen von der Plattenfirma einen leichten Sommerhit wollen, liefere ichden".
Nicht nur Sommerhits, sondern auch Jingles. Für Kopfschütteln etwa sorgte die Sponsoring-Vereinbarung mit der Bremer Brauerei "Becks". Zum 50. Jahrestag der Thronbesteigung von Queen Elizabeth erlebte man co*cker im Juni 2002 im Garten des Buckingham Palace neben anderen alten Männern bei einer "Royal Pop Party". Im Jahr 2007 zeichnet Queen Elizabeth ihn mit einem Verdienstorden aus, dem Officer of the British Empire(OBE).
Er hauchte manchen gecoverten Liedern mehr Seele ein, als sie im Original hatten
Ja, vielleicht wird man dem "Zeremonienmeister des Coversongs" ( Kieler Nachrichten) nur gerecht, wenn man die Lebensleistung und das Künstlerversagen zugleich und in gleichen Teilen sieht. Der Mann verzauberte Zehntausende, er hauchte manchen gecoverten Liedern mehr Seele ein, als sie im Original hatten. Aber er war nicht immer Herr über seine Musik. Seinen Dauerflirt mit dem Kommerz kann man ihm nicht verübeln. Er konnte einem aber leid tun, wenn er von seinem Management auf die Rampe geschubst wurde, um zu singen, was man für chartverdächtig hielt. Seine emotional befeuerte Stimme gehörte - so scheint es - nicht mehr ihm selbst, sie musste herhalten: So etwa wurde "You Can Leave Your Hat On" in co*ckers Version 1986 weltberühmt. Ein Song, der im Film "9 1/2 Wochen" eingesetzt wurde - und seitdem Hymne aller Striptease-Tänzerinnenist.
Am Montag ist Joe co*cker, der Mann, der als Rockstar begann und als Popstar weltberühmt wurde, im Alter von 70 Jahren in seinem Haus in Crawford, Colorado, an den Folgen eines Lungenkrebsleidensgestorben.